Wie klingender Seelenbalsam

Bach: Weihnachtsoratorium I-III, Telemann: Machet die Tore weit

Lasset uns nun gehen gen Bethlehem!

Wie die Hirten im Lukas-Evangelium, so will auch die Kantorei der Karlshöhe eilig auf das Weihnachtsfest zusteuern. Dafür bringen die Sängerinnen und Sänger den Klassiker unter den Weihnachtsstücken nach längerer Zeit wieder in die Kirche der Karlshöhe: das Bach'sche Weihnachtsoratorium.
Zusammen mit dem Barockorchester consortium consonans erklangen die Kantaten 1 bis 3 in historisch informierter Aufführungspraxis auf Darmsaiten und in barocker Temperierung.

Zu dem bei Zuhörern wie Sängern beliebten Oratorium bringt die Kantorei eine Adventskantate von Georg Philipp Telemann zur Aufführung. Telemann, dessen Werke auch von Johann Sebastian Bach aufgeführt wurden, war Patenonkel des Bach-Sohns Carl Philipp Emanuel. Das Original der Telemann-Kantate „Machet die Tore weit" ist nicht mehr erhalten, zum Glück hat Johann Sebastian diese schon frühzeitig abgeschrieben, gut verwahrt und seinem Sohn vererbt. Die engen familiären Bindungen beider Komponisten spiegeln sich also auch in der Musik wider.

Wie klingender Seelenbalsam

empfand Autor Harry Schmidt in seiner Bewertung für die LKZ vom 11.12.2019 den Choral "Wie soll ich dich empfangen" und weitere bei der Aufführung der Kantorei der Karlshöhe mit Bachs "Weihnachtsoratorium" vor 400 Besuchern in der nahezu ausverkauften evangelischen Kirche der Karlshöhe. So lobte er vor allem, "dass (Nikolai) Ott das Wagnis eingegangen ist, das Adventskonzert in historisch informierter Aufführungspraxis zu gestalten.

So "... war es doch ein Erlebnis, diese Komposition in einer Annäherung an das barocke Klangideal zu hören. Wirkt diese Musik im Bemühen um eine authentische Ästhetik doch wesentlich weniger auftrumpfend, als man sie von vielen Aufnahmen und Aufführungen im Ohr hat, dafür inniger und auch demütiger. Insbesondere die Holzbläser sorgten für eine spirituelle Atmosphäre, gerade auch im Kontrast zu den Clarintrompeten." Des Weiteren "... ragten aus dem Solistenquartett Julia Werners klangschöner und ausdrucksvoller Alt und Marcus Elsässers Tenor, vor allem in seinen Secco-Rezitativen als Evangelist mit klarer Artikulation, nochmals hervor."

So erntete Chor und Orchester vom Publikum verdientermaßen "Minutenlangen Beifall und Bravo-Bekundungen." Wir sagen allen Beteiligten ein herzliches Dankeschön für diesen wunderschönen Konzertabend und freuen uns auf ein Wiedersehen an Heiligabend zum Gottestdienst in der evangelischen Kirche der Karlshöhe, den wir wie jedes Jahr mit schöner Weihnachtsmusik begleiten.

Art der Veranstaltung
Konzert
Veranstaltungsort
Kirche der Karlshöhe
Datum
Sonntag, 8. Dezember 2019, 19:00 Uhr
Programm
Georg Philipp Telemann
Machet die Tore weit
Johann Sebastian Bach
Weihnachtsoratorium I-III
Solisten
Ruth Dobers, Sopran; Julia Werner, Alt; Marcus Elsäßer, Tenor; Christoph Schweizer, Bass
Orchester
Barockorchester consortium consonans
Chor
Kantorei der Karlshöhe
Musikalische Leitung
Nikolai Ott

Presseecho

Wie klingender Seelenbalsam
LKZ 11. Dezember 2019, Autor: Harry Schmidt

„Die Aufführung ist ein gemeinschaftliches Erlebnis“

Ein kleines Gespräch mit Dirigent Nikolai Ott über das Weihnachtsoratorium

Vollenden Sie den Satz: Weihnachten ohne Weihnachtsoratorium ist wie ….
Nikolai Ott: Silvester ohne Dinner for one.

Wann haben Sie das erste Mal das Weihnachtsoratorium gesungen?
Ott: In der Tat erst 2017. Mit dem Kammerchor der Hochschule Trossingen. Ich hatte zuvor nie die
Gelegenheit, in einer großen Kantorei das Weihnachtsoratorium zu singen, einzelne Kantaten
daraus in Gottesdiensten schon, aber nie zusammenhängend. Das WO war dann das erste Stück,
das ich so richtig gehört habe, als ich Orgelunterricht hatte und die Aufführung von Jörg-Hannes
Hahn mit dem Bachchor in Bad Cannstatt erlebte. Das war wirklich prägend. Da habe ich gedacht:
Was der Jörg-Hannes Hahn macht, das will ich irgendwann auch machen. Diese WO-Aufführung
hatte einen großen Anteil an meinen Entschluss, Kirchenmusiker zu werden.

Warum ist das WO so populär – vom Publikum gern gehört, von den Chören mit Begeisterung
gesungen? „Ehre sei Gott“ ist ja verflixt hoch und die Koloraturen gar nicht so schlicht.
Ott: Die Musik ist so stark und so gut, die ganze theologische Konzeption so stringent, dass man
sie immer wieder gerne hört. Das gibt dem Interpreten die Gelegenheit, jede Aufführung anders zu
gestalten. Bach hat seine besten und gelungensten Stücke ähnlich wie in der h-Moll-Messe
nochmals in neuen Zusammenhang gestellt. Ein stückweit ist das WO ein Opus Magnum, das sich
nicht totläuft. Die drei Paukenschläge am Anfang sind für viele eine Kulturinstitution, für ganz viele
Menschen ist ohne dieses Stück Weihnachten gar nicht denkbar.

Schnell oder langsam? An Weihnachten spielen sie dieses Jahr in SWR2 das WO dirigiert von Karl
Richter, also in Super Slow Motion. Vor ein paar Jahren noch galt das als unendlich vorgestrig, das
wollte keiner mehr hören. Welches Tempo machen Sie?
Ott: Wir machen dieses Jahr tatsächlich ein Experiment. Ich treffe mich vorab mit der
Konzertmeisterin. Es gibt neue Theorien zur Strichorganisation der Streicher. Die lassen gewisse
Tempi nicht zu langsam und nicht zu schnell nicht zu. Wir wollen ausprobieren, wo uns das hinführt.
Es gibt alles. Man muss auch versuchen dem Kirchenraum und dem Ensemble Rechnung zu tragen,
das entscheidet sich meist erst in der Generalprobe. Meine Tendenz ist auf jeden Fall immer flott.

Was ist barock, also historisch informiert, an der Aufführung?
Ott: Wir haben durchgehend historisch nachgebaute Instrumente, die Streicher spielen auf
Darmsaiten. Die Trompeten sind Clarintrompeten, auch die Holzblasinstrumente sind so, wie sie im
Spätbarock üblich waren. Die Stimmtonhöhe war insgesamt ein bisschen tiefer. Man führt einen
Halbton tiefer auf, das hat zur Folge, dass es für die Mehrzahl der Chorsänger angenehmer zu singen
ist. Doch darin erschöpft sich historisch informierte Aufführungspraxis manchmal ein wenig. Sie
ist letztendlich auch nur ein Konstrukt. Es bleibt alles hypothetisch. Ich glaube, dass die Menschen,
die das damals aufgeführt haben, sehr pragmatisch damit umgegangen sind.

Wie klingen Engel?
Ott: Ganz unterschiedlich. Sie treten in der Bibel in verschiedensten Situationen auf. Engel sind so
verschieden wie Menschen, der eine singt eher leise, der andere vielleicht auch laut und falsch, aber
alle singen. Es gibt kleine Engel, die in der Bibel „heilig, heilig, heilig“ singen. Und es gibt renitente
Engel bei Bileam, die den Weg versperren. Die himmlischen Heerscharen kommen nicht nur als
pausbäckige Rauschgoldengelchen daher, sondern auch als Cherubim mit Schwertern. In „Ehre sei
Gott in der Höhe“ im WO, Teil II, haben sie dreierlei Gestalt: die sanften, zarten Engel in der Höhe
und auf Erden die Boten von Friede und die, die Gottes Wohlgefallen überschwänglich feiern.

Warum hört man bei Bach die Hirten herbeieilen?
Ott: Da zeigt sich Bachs Affinität zur Theologie. Die Hirten sind nicht die ökonomische und geistige
Elite der Zeit, sondern eher eine sozial abgehängte Gruppe, der sich Gott sich als Erstes offenbart.
Die verstehen am besten, was die Botschaft der Engel bedeutet. Das Ereignis ist so groß, dass sie
tun, was sie nie machen würden, sie lassen ihre Herde allein, um „die Geschichte zu sehen, die da
geschehen ist“. Der Chor der Hirten „Lasset uns nun gehen gen Bethlehem“ in Teil III ist nicht
homophon. Fugierte Einsätze lassen die Hirten aufbrechen, Violinen und Flöten sind vielleicht kleine
Hirten, die vorauseilen und übereinander purzeln. Gemächliche Hirten kommen auch mit, sie laufen
im Chor in Achteln und Vierteln.

Die Texte im WO sind zum Teil sehr betulich. „Ach, mein herzliebes Jesulein“ steht doch „Stille
Nacht, heilige Nacht“ in nichts nach. Was ist anders? Anders gefragt: Ist kindliche Schlichtheit ein
Weihnachtsgefühl?
Ott: Das ist die erste Assoziation, die man hat. Das kleine Kindlein in der Krippe. Süßer holder
Knabe, das ist eine eher romantische Einstellung. In pietistischem Umfeld von Bach war diese kindliche Vorstellung allerdings auch üblich. Bach benutzt zum Teil aber andere Choralmelodien. Er gibt dem Kind in der Krippe eine andere Dimension. Ein Erfolgsgeheimnis des WO ist, dass es
nicht der schlichten Gotteskindvorstellung verhaftet bleibt.

„Wie soll ich dich empfangen“ ist ein mit besonderer Bedeutung beladener Choral. Das Paul-
Gerhardt-Lied „Befiehl du deine Wege“ und „O Haupt voll Blut und Wunden“ haben dieselbe
Melodie. War das immer so?
Ott: Die Gesangbücher hatten früher keine Noten. Es gibt sehr viele Lieder mit dieser Melodie. Die
hat sozusagen auch heute noch jeder im Kopf. „Mein Gmüt ist mir verwirret, das macht ein
Jungfrau zart“ von Hans Leo Haßler scheint die originäre Vorlage zu sein. Besonders beliebte starke
Melodien haben überlebt. Was von der Gemeinde angenommen wird, bleibt im Bestand.
Populäres wird weiterentwickelt. Nichts anderes ist da passiert. Diese Melodie hat 500 Jahre überlebt,
das heißt, man singt sie immer wieder gern.

Das Weihnachtsoratorium Teil I bis III oder auch IV würde doch reichen, warum stellen Sie
Telemanns Adventskantate „Machet die Tore weit“ an den Anfang des Konzerts?
Ott: Ich bin in der Tiefe meines Herzens ein liturgischer Hardliner. Es ist am zweiten Advent einfach
noch nicht Weihnachten. Es war kein anderer Konzertermin mehr möglich. Ich finde das nicht optimal.
Wir wollen zeigen: Es ist noch Advent. Und ich will die familiäre Bindung der beiden
Komponisten hörbar machen.

Im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit kann man im Wald und in der Badewanne, beim
Backen und Autofahren das WO hören. Warum sollte man sich trotzdem alle Jahre wieder das
Weihnachtsoratorium live (und andere Oratorien-Aufführungen) gönnen?
Ott: Weil keine CD und eine Hifi-Anlage jemals die akustischen Phänomene reproduzieren können,
die bei einer Live-Aufführung in einer schönen Kirche entstehen. Die große Kunst für den
Chor und den Dirigenten ist, den Kontakt mit dem Publikum herzustellen. Die Aufführung ist ein
gemeinschaftliches Erlebnis, das ist nicht reproduzierbar, auch nicht mit all den Fehlern und
Patzern, die live einfach dazugehören. Deshalb laden wir nach Konzert immer zu einem kleinen
Umtrunk ein. Wir von der Kantorei wollen nicht nur gute Musik machen und den Menschen etwas
mitgeben, wir wollen auch eine Gemeinschaft herstellen, ein Forum bieten, wo man miteinander
spricht.

Das Interview führte Gertrud Schubert

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