Choralphabet

Elfter September 2001

Herr, wenn die stolzen Feinde schnauben

Es gibt so Tage, an denen wissen alle, was sie gemacht haben. Der 11. September 2001 zählt dazu. Es war ein Dienstag, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Denn was machen die Karlshöher Kantoristen dienstagabends? Sie proben. Selbstverständlich auch an diesem Dienstag, an dem Terroristen die Flugzeuge in die Türme des World Trade Center jagten. Wir machten uns also auf in den Ostsaal der Kirche, das Weihnachtsoratorium stand auf dem Programm, alle sechs Teile als Abschiedskonzert für Siegfried Bauer. Nur - die Schwätzlust war an diesem Abend vollkommen ausgebremst. Alle waren ratlos, irgendwie bedrückt. Da ließ uns Bauer die sechste Kantate, Eingangschor, aufschlagen: “Herr, wenn die stolzen Feinde schnauben.” Wir schnaubten recht ungekonnt und merkten bei allem Furor und aller Sechzehntelgewalt, dass dieser Satz kein Kampflied ist. Es ist vielmehr eine Bitte: “… so hilf, dass wir im festen Glauben nach deiner Macht und Hülfe sehn. Wir wollen dir allein vertrauen, so können wir den scharfen Klauen des Feindes unversehrt entgehn.” Ganz egal, wer “die Feinde” sein mögen.

Gertrud Schubert,
Sopran seit 1997

Elizabeth

„Wo kommst du denn her?“

Strahlend, leicht gerötete Wangen, die Augen voller Lachen taucht Elizabeth spät abends beim 40. Geburtstag meiner Freundin Jutta auf. Sie schaufelt sich Salat und was es noch so gibt auf einen Teller, sucht Brot, was zu trinken, nein, jetzt keinen Alkohol. Sie hat Bärenhunger. „Ich habe gerade in Ludwigsburg Mendelssohn gesungen. ‚Wie der Hirsch schreit, nach frischem Wasser‘.“ Sie schüttet Sprudel in sich hinein und überschüttet die ganze Festgesellschaft mit ihrer Fröhlichkeit. Ich frage die mir unbekannte Sängerin leise: „Wo? Mit welchem Chor? Kann man da mitmachen?“ Am darauffolgenden Dienstag gehe ich zum ersten Mal in meinem Leben auf die Karlshöhe, suche den H3, singe mit und bleibe dabei. Bei uns zu Hause, ich gestehe es, enden die Dienstagabende meist mit einer kleinen Fressorgie.

Gertrud Schubert,
Sopran seit 1997

Ergraut

Früh ergraut

Immer wieder kam es in den Chorproben vor, dass beim Einstudieren das eine oder andere Stück, insbesondere bei uns Männern, nicht so klang, wie unser Chorleiter Tobias Horn sich das vorgestellt hatte. Mit verzweifeltem Blick und Griff in seine Haare rief er: “Ihr schafft es, dass ich noch schneller graue Haare bekomme.” Betretenes Schweigen im Chor. Aber mit vereinten Kräften und größtmöglicher Konzentration schafften wir Männer es doch noch, Tobias einigermaßen zufrieden zu stellen.
Zur nächsten Chorprobe brachte ich dem geplagten Chorleiter eine Flasche „Seborin 3-fach Effekt“ mit. Ich überreichte es Tobias mit ein paar launigen Sätzen und der Hoffnung, dass dieses Mittel ihn vor frühzeitigem Ergrauen oder gar Haarausfall schützen möge. Unter Beifall des Chores nahm Tobias das Präsent humorvoll entgegen.
Ob es ihm geholfen hat?

Herbert Labitzke,
Bass, 1983 - 2018

 

Erinnerungsspitzen

Aus einem Meer

von lauter wohltuenden, wenn auch nur undeutlichen Erinnerungen ragen - nach kaum nachvollziehbaren Kriterien vom Gedächtnis aussortiert – zwei in besonders deutlicher Weise heraus: Für die große Konzert- und Städtepartnerschaftsreise der Kantorei nach Jewpatorija an Ostern 2010 drohte ein akuter Mangel an Tenören. Deshalb hat die Frau des Chorleiters höchstpersönlich mich als Gastsänger für dieses Projekt angeworben. Es war ein starker Einstieg in die Kantorei, auch wenn musikalisch und touristisch scheinbar nur wenig Bedeutendes bei mir hängen geblieben ist: das bescheidene Volkslied „Der Mond ist aufgegangen“ als einziger mir heute noch präsenter Titel aus dem Gesangsprogramm und der tolle Tagesausflug nach Jalta mit den eindrucksvollen Stadt- und Landspaziergängen vor der Kulisse des Schwarzen Meeres.

Die zweite Erinnerungsspitze ist die szenische Aufführung der „Schöpfung“ im Ludwigsburger Forum, ein quasi-professionelles Projekt mit entsprechend hohen Anforderungen. Prägendes Erlebnis: die auswendig gesungenen Chöre und die für einen „Nichtprofi“ tiefen Einblicke in die Welt des Musiktheaters, zuvor aber auch die Qualen des Auswendiglernens – stundenlanges Training vor dem CD-Player. Die Wiederaufnahme der „Schöpfung“, angekündigt für Herbst 2020, sollte dann auch der Schlusspunkt meiner Kantoreizeit werden, nicht zuletzt deswegen, weil ich mir von meinen diesbezüglichen Vorleistungen eine lockere Probenarbeit zum Ausklang versprochen hatte. Doch Corona war stärker. Es ist ein schneller Abschied geworden, aber mit frohem und dankbarem Herzen.

Erich Benner,
Tenor 2001 - 2020

Erkennungsmerkmal

Immer mitnehmen!

An ihm ist der Sänger, die Sängerin zu erkennen: Der Schal wird mindestens dreimal um den Hals gebunden, egal ob im Herbst, Winter oder Frühling. Er ist ja auch wirklich unentbehrlich in den oft wenig beheizten Kirchen.

Catherine Moll,
Sopran 1992 – 2012, seitdem Alt

Kurz & Knapp

Dreckbollen an den Schuhen

Chorprobe mit Siegfried Bauer im November 1982, Karlshöhe, Kolleggebäude H3: Als junge Studentin singe ich zum ersten Mal beim Weihnachtsoratorium mit. Im Dritten Teil Nr. 26 kommt der Einsatz der Tenöre und Bässe: „Lasset uns nun gehen gen Bethlehem…“. Siegfried Bauer unterbricht sofort: „Ihr Männer, ihr kommt daher, als ob ihr Dreckbollen an den Schuhen hättet.“ Das sitzt. Bei jeder Aufführung des Weihnachtsoratoriums freue ich mich auf den leichtfüßigen Einsatz der Männer.

Beate Vogelgsang (geb. Kempter), Sopran, 1980 – 1983 und seit 2008

Erkennungsmerkmal

Immer mitnehmen! An ihm ist der Sänger, die Sängerin zu erkennen: Der Schal wird mindestens dreimal um den Hals gebunden, egal ob im Herbst, Winter oder Frühling. Er ist ja auch wirklich unentbehrlich in den oft wenig beheizten Kirchen.

Catherine Moll, Sopran 1992 – 2012, seitdem Alt

Singen weckt sämtliche Lebensgeister

Kantorei der Karlshöhe war für mich das Zauberwort über 25 Jahre hinweg. Ich konnte noch so müde sein – kaum war ich in der Chorprobe, kamen sämtliche Lebensgeister zurück und ich habe mit viel Freude und Herzblut gesungen. In all den Jahren habe ich drei Dirigenten erlebt, ein jeder genial in seiner Art, es gab unvergessliche Aufführungen und ich bin vielen wunderbaren Menschen begegnet.

Dankbar und beschenkt blicke ich auf diese Zeit zurück und wünsche der Kantorei der Karlshöhe mit ihrem Dirigenten Nikolai Ott, dass sie nach der Coronapause wieder mit Schwung beginnen kann. Ich freue mich schon auf die nächste Aufführung, die ich dann als Zuhörerin erleben und genießen darf.

Gerti Benner, Sopran 1995 - 2020

Wir Rampensäue

Das Lob dienstagabends nach den großen Konzerten ist obligatorisch, fällt in der Ära Tobias Horn in der Regel aber wenig überschwänglich aus. Bis auf ein Mal. Da lässt er die Sau raus. „Dein Chor“, so zitiert der Meister, kurz bevor er gleich wieder in die Tasten des Flügels haut, unseren heißgeliebten Tenor Andreas Weller, „dein Chor sind alles Rampensäue.“ Der Chef lacht glücklich. Und schaut in unzählbar viele entsetzte Gesichter. Rampensäue? Wir? Haben wir so entsetzlich gesungen? Das muss er erklären. Und wirklich, Horn übersetzt: Wenn es darauf ankommt, dann steht die Kantorei da wie eine Eins. Jeder einzelne von uns. Mehr Präsenz geht nicht. Mehr Lob auch nicht.

Gertrud Schubert, Sopran 1997

Große Aufregung

Die Matthäuspassion war mein erstes großes Werk mit der Karlshöher Kantorei. Ich werde nie die Aufregung und das Kribbeln vergessen, das diese Aufführung mit sich brachte.

Mirijam Bäßler, Sopran seit 2014

Hefezopf, mit und ohne Zibeben

In unserer bunten Chorgruppe gibt es einen gelernten Bäcker, der zu jeder Generalprobe für die Solisten und Instrumentalisten zwei mächtige Hefezöpfe kredenzt. Und weil Hermann Emmerling weiß, dass sich an den Rosinen die Geister scheiden, ist immer ein Zopf mit, der andere ohne Zibeben. So schmeckt er allen.

Christa Fröhlich, Sopran seit 2009

Singen macht glücklich und frei

Gemeinsame Proben, Konzerte eröffnen für mich immer wieder eine Dimension der Tiefe, Gelassenheit, Verbundenheit und Zuversicht. Singen mit der Kantorei macht glücklich und frei.

Elfie Peter-Lehmann, Sopran seit 2007

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